Zweite Szene

[306] Eine andre Straße in London.


Prinz Heinrich und Poins treten auf.


PRINZ HEINRICH. Glaube mir, ich bin ungemein müde.

POINS. Ist es dahin gekommen? Ich hätte nicht gedacht, daß Müdigkeit sich an einen von so hohem Blut machen dürfte.[306]

PRINZ HEINRICH. Mein' Treu', sie macht sich an mich, ob meine Hoheit gleich erröten muß, es anzuerkennen. Nimmt es sich nicht gemein an mir aus, Verlangen nach Dünnbier zu haben?

POINS. Ein Prinz sollte nicht so obenhin studiert haben, daß ihm eine so matte Komposition nur in den Sinn käme.

PRINZ HEINRICH. Vielleicht war dann mein Appetit nicht prinzlich erzeugt, denn fürwahr, jetzt kommt mir nur die arme Kreatur Dünnbier in den Sinn. Aber gewiß, diese demütigen Rücksichten machen mir meine Größe ganz zuwider. Welche Schmach ist es mir, mich deines Namens zu erinnern? Oder dein Gesicht morgen zu kennen? Oder mir zu merken, wie viel Paar seidne Strümpfe du hast, nämlich diese da und die weiland pfirsichblütfarbenen? Oder das Register deiner Hemden zu führen, als: eins zum Überfluß und eins zum Gebrauch? – Aber das weiß der Wirt im Ballhause besser als ich, denn es ist niedrige Ebbe in deiner Wäsche, wenn du dort nicht das Rakett führst. Du hast es nun eine lange Zeit her nicht getan, weil der Rest deiner Niederlande deine holländischen Besitzungen zu verschlingen gesucht hat; und Gott weiß, ob die, welche aus den Trümmern deiner Leinwand herausquäken, sein Reich erben werden. Aber die Hebammen sagen, die Kinder können nicht dafür; die Welt wird dadurch bevölkert, und die Verwandtschaften gewaltig verstärkt.

POINS. Wie schlecht paßt sich's, daß Ihr so müßige Reden führt, nachdem Ihr so schwer gearbeitet habt! Sagt mir, wie viel junge Prinzen würden das wohl tun, deren Väter so krank wären, als Eurer gegenwärtig ist?

PRINZ HEINRICH. Soll ich dir etwas sagen, Poins?

POINS. Ja, und daß es nur etwas Vortreffliches ist.

PRINZ HEINRICH. Es reicht hin für witzige Köpfe, die nicht vornehmer sind als du.

POINS. Nur zu, ich bin schon auf das Etwas gerüstet, das Ihr sagen wollt.

PRINZ HEINRICH. Gut, ich sage dir also, es schickt sich nicht für mich, traurig zu sein, da mein Vater krank ist; wiewohl ich dir sagen kann: – als einem, den es mir in Ermangelung[307] eines Besseren beliebt Freund zu nennen, – ich könnte traurig sein, und recht im Ernst traurig.

POINS. Schwerlich bei einer solchen Veranlassung.

PRINZ HEINRICH. Bei dieser Rechten, du denkst, ich stünde eben so stark in des Teufels Buch als du und Falstaff, wegen Halsstarrigkeit und Verstocktheit. Das Ende wird's ausweisen. Ich sage dir aber, mein Herz blutet innerlich, daß mein Vater so krank ist; und daß ich so schlechten Umgang halte, wie du bist, hat mich mit gutem Grunde aller äußern Bezeugung des Kummers verlustig gemacht.

POINS. Aus welchem Grunde?

PRINZ HEINRICH. Was würdest du von mir denken, wenn ich weinte?

POINS. Ich würde denken, du seiest der fürstlichste Heuchler.

PRINZ HEINRICH. Das würde jedermanns Gedanke sein, und du bist ein gesegneter Bursch, daß du denkst, wie jedermann denkt: keines Menschen Gedanken auf der Welt halten sich mehr auf der Heerstraße als deine. Wirklich würde jedermann denken, ich sei ein Heuchler. Und was bewegt Eure hochgeehrtesten Gedanken, so zu denken?

POINS. Nun, weil Ihr so lüderlich und so sehr mit Falstaff verstrickt gewesen seid.

PRINZ HEINRICH. Und mit dir.

POINS. Beim Sonnenlicht, von mir spricht man gut, ich kann es mit meinen eignen Ohren hören. Das Schlimmste, was sie von mir sagen können, ist, daß ich ein jüngerer Bruder bin und ein tüchtiger Geselle auf meine eigne Hand, und ich gestehe, diese beiden Dinge kann ich nicht ändern. Ei der Tausend, da kommt Bardolph!

PRINZ HEINRICH. Und der Junge, den ich dem Falstaff gab. Er hat ihn von mir als einen Christen bekommen, und sieh nur, ob der fette Schlingel nicht einen Affen aus ihm gemacht


Bardolph und der Page kommen.


BARDOLPH. Gott erhalte Euer Gnaden!

PRINZ HEINRICH. Und Eure auch, mein sehr edler Bardolph!

BARDOLPH zum Pagen. Komm, du tugendhafter Esel, du verschämter Narr! Mußt du rot werden? Warum wirst du rot?[308] Welch ein jungfräulicher Soldat bist du geworden! Ist es so eine große Sache, die Jungferschaft eines Vier-Nößel-Krugs zu erobern?

PAGE. Jetzt eben, gnädiger Herr, rief er mich durch ein rotes Gitterfenster, und ich konnte gar nichts von seinem Gesicht vom Fenster unterscheiden; zuletzt wurde ich seine Augen gewahr, und ich dachte, er hätte zwei Löcher in der Bierschenkin ihren neuen Rock gemacht und guckte da durch.

PRINZ HEINRICH. Hat der Junge nicht zugelernt?

BARDOLPH. Fort, du Blitzkaninchen auf zwei Beinen, fort!

PAGE. Fort, du Schelm von Altheas Traum, fort!

PRINZ HEINRICH. Erkläre uns das, Junge: was für ein Traum?

PAGE. Ei, gnädiger Herr, Althea träumte, sie käme mit einem Feuerbrande nieder, und darum nenne ich ihn ihren Traum.

PRINZ HEINRICH. Eines Talers werte, gute Auslegung, und da hast du ihn, Junge! Gibt ihm Geld.

PAGE. Oh, daß ich diese schöne Blüte vor dem Wurm bewahren könnte! – Nun, ist da ein Batzen, um dich zu hüten.

BARDOLPH. Wenn ihr nicht sorgt, daß ihr ihn unter euch aufhängt, so geschieht dem Galgen zu nah.

PRINZ HEINRICH. Nun, wie geht's deinem Herrn, Bardolph?

BARDOLPH. Gut, gnädiger Herr. Er hörte, daß Euer Gnaden nach London kämen: da ist ein Brief an Euch.

POINS. Mit gutem Anstande bestellt. – Und was macht der Martinstag, Euer Herr?

BARDOLPH. Gesunden Leibes, Herr.

POINS. Freilich, sein unsterbliches Teil braucht einen Arzt, aber das kümmert ihn nicht; ist das schon krank, so stirbt es doch nicht.

PRINZ HEINRICH. Ich erlaube dem Kropf, so vertraut mit mir zu tun wie mein Hund, und er behauptet seinen Platz: denn seht nur, wie er schreibt!

POINS liest. »John Falstaff, Ritter« – jedermann muß das wissen, so oft er Gelegenheit hat, sich zu nennen. Grade wie die Leute, die mit dem König verwandt sind, denn die stechen sich niemals in den Finger, ohne zu sagen: »Da wird etwas von des Königs Blut vergossen.« – »Wie geht das zu?« sagt einer, der sich heraus nimmt, nicht zu begreifen, und die[309] Antwort ist so geschwind bei der Hand wie eine geborgte Mütze: »Ich bin des Königs armer Vetter, mein Herr.«

PRINZ HEINRICH. Ja, sie wollen mit uns verwandt sein, und wenn sie es von Japhet ableiten. Aber den Brief!

POINS. »Sir John Falstaff, Ritter, dem Sohne des Königs, der seinem Vater am nächsten, Heinrich, Prinzen von Wales, Gruß.« – Ei, das ist ein Attestat.

PRINZ HEINRICH. Still!

POINS. »Ich will den ruhmwürdigen Römer in der Kürze nachahmen«: – er meint gewiß, in der Kürze des Atems, – »ich empfehle mich dir, ich empfehle dich, und ich verlasse dich. Sei nicht zu vertraulich mit Poins; er mißbraucht deine Gunst so sehr, daß er schwört, du müssest seine Schwester Lene heiraten. Tu' Buße in müßigen Stunden, wie du kannst, und somit gehab' dich wohl!

Der Deinige bei Ja und Nein (das will sagen, je nachdem du ihm begegnest), Hans Falstaff für meine vertrauten Freunde, John für meine Brüder und Schwestern, und Sir John für ganz Europa.«

Mein Prinz, ich will diesen Brief in Sekt tauchen und ihn zwingen, ihn zu essen.

PRINZ HEINRICH. Das hieße ihn zwingen, seine eignen Worte hinunter zu schlucken. Aber geht Ihr so mit mir um, Eduard? Muß ich Eure Schwester heiraten?

POINS. Wäre der Dirne nur nichts Geringeres beschert! Aber gesagt habe ich es nie.

PRINZ HEINRICH. So treiben wir Possen mit der Zeit, und die Geister der Weisen sitzen in den Wolken und spotten unser. – Ist Euer Herr hier in London?

BARDOLPH. Ja, gnädiger Herr.

PRINZ HEINRICH. Wo ißt er zu Abend? – Mästet sich der alte Eber noch auf dem alten Koben?

BARDOLPH. An dem alten Platze, gnädiger Herr: zu Eastcheap.

PRINZ HEINRICH. Was hat er für Gesellschaft?

BARDOLPH. Ephesier, gnädiger Herr: von der alten Kirche.

PRINZ HEINRICH. Essen Weiber mit ihm?

PAGE. Keine, gnädiger Herr, als die alte Frau Hurtig und Jungfer Dortchen Lakenreißer.[310]

PRINZ HEINRICH. Was mag das für eine Heidin sein?

PAGE. Eine artige Mamsell, Herr, und eine Verwandte meines Herrn.

PRINZ HEINRICH. Grade so verwandt wie die Gemeinde-Kühe dem Stadtbullen. – Sollen wir sie beim Abendessen beschleichen, Eduard?

POINS. Ich bin Euer Schatten, gnädiger Herr, ich folge Euch.

PRINZ HEINRICH. He! Du Bursch, – und Ihr, Bardolph! – sagt eurem Herrn kein Wort, daß ich schon in die Stadt gekommen bin! Da habt ihr was für euer Schweigen!

BARDOLPH. Ich habe keine Zunge, Herr.

PAGE. Und was meine betrifft, Herr, ich will sie regieren.

PRINZ HEINRICH. Lebt denn wohl, geht!


Bardolph und Page ab.


Diese Dortchen Lakenreißer muß irgend eine Heerstraße sein.

POINS. Das versichre ich Euch, so gemein wie der Weg von London nach St. Albans.

PRINZ HEINRICH. Wie könnten wir den Falstaff heute abend in seinen wahren Farben sehen, ohne selbst gesehen zu werden?

POINS. Stecken wir uns in zwei lederne Wämser und Schürzen und warten ihm bei Tische auf wie Küfer!

PRINZ HEINRICH. Von einem Gott zu einem Stier? Eine schwere Herabsetzung! Sie war Jupiters Fall. Aus einem Prinzen in einen Kellerjungen? Eine niedrige Verwandlung! Sie soll die meinige sein, denn in jedem Dinge muß die Absicht mit der Torheit auf die Waagschale gelegt werden. Folge mir, Eduard! Ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 306-311.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Sophonisbe. Trauerspiel

Sophonisbe. Trauerspiel

Im zweiten Punischen Krieg gerät Syphax, der König von Numidien, in Gefangenschaft. Sophonisbe, seine Frau, ist bereit sein Leben für das Reich zu opfern und bietet den heidnischen Göttern sogar ihre Söhne als Blutopfer an.

178 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon